Energiewende

Warum die Energiewende nicht stoisch ist

[Dieser Artikel sieht politisch aus, aber es geht um stoische Ratio in der Realität]

Seit kurzem laufen also in Deutschland keine Kernkraftwerke mehr, während überall um uns herum neue Anlagen gebaut werden – zum Beispiel jetzt gerade erst in Finnland, aber auch in vielen weiteren Ländern. Klingt das rational?

Gleichzeitig zeigt der Krieg in der Ukraine, wie abhängig wir von der ausländischen Versorgung mit Gas sind, in unserem Fall hauptsächlich aus Russland. Klingt das rational? 

Ab sofort gilt das noch mehr für Strom aus Kernkraft, hauptsächlich aus Anlagen unserer direkten europäischen Nachbarn, zum Beispiel Frankreich und Schweden. Klingt das rational?

Die BRD gibt gerade ihre Energieversorgung komplett aus der Hand. Mir persönlich fällt gerade kein Beispiel aus der Geschichte ein, in dem ein hochindustrialisiertes Land dieses Experiment jemals zuvor gewagt hätte.

Worüber bislang kaum jemand spricht: Wer seine Energieversorgung aus der Hand gibt, ist im Inneren schwach und von außen angreifbar, er ist wortwörtlich erpressbar und ökonomisch unberechenbar. Dadurch aber wird Deutschland einmal mehr zu einem echten Unsicherheitsfaktor in der Mitte Europas.

Das sehen erste Kommentatoren in den USA und GB auch bereits so, nur in der BRD selbst scheint das noch nicht angekommen zu sein oder einfach in Kauf genommen zu werden. Ein wankendes, erpressbares Deutschland wird früher oder später allen Europäern und Bündnispartnern Sorge bereiten. Das wiederum ist rational.

Elon Musk kommentierte, das Abschalten der Kernkraft in Deutschland sei „Wahnsinn“. Von seinem Eigeninteresse einmal abgesehen, denn seine Autos sind ohne eine zuverlässige Stromversorgung kaum ernsthaft zu betreiben, brachte er damit aber auf den Punkt, was man als Stoiker schon lange weiß: Rational ist die ganze Diskussion um Energie und deren Wende offensichtlich nicht. Es handelt sich nicht um durchdachte Entscheidungen, sondern um hochemotionale Themen. Man könnte auch sagen: Das passiert, wenn (im stoischen Sinn negative) Gefühle wichtiger sind als Ratio. Welches Gefühl spielt hier die Hauptrolle, vor allem aus Sicht der Politiker bei ihren Wählerinnen und Wählern? Angst.

Angst ist die Haupttriebfeder hinter der Energiewende. Eingelöst wird, was in den 80ern mit den deutschen Atomkraftgegnern (korrekt müsste es „Kernkraftgegner“ heißen) begann, die nicht nur auf die Grünen massiv Einfluss hatten. Gegen Kernkraft ist in Deutschland seit dem Reaktorunglück in Tschernobyl eigentlich jeder. Einige Politiker sprechen sogar heute noch unwidersprochen von „Zehntausenden Toten durch die Atomkatastrophe von Fukushima“, ohne zu erwähnen, dass diese Menschen in einer Naturkatastrophe, eben einer gigantischen Flutwelle, ertrunken sind. 

Die Energiewende ist kein Konstrukt der Grünen und der SPD allein. CDU und FDP haben meines Wissen ebenfalls mehrheitlich für die Abschaltung der deutschen Energieversorgung gestimmt, auch wenn ihre Vertreter jetzt – wo der Wind sich dreht – in ihren Statements anderes vermuten lassen. Die einzige Motivation, die mir einfallen mag: Man möchte halt wiedergewählt werden, egal, was das fürs Land bedeutet.

Angst hat man in Deutschland eigentlich vor nahezu allem, vor Kernkraft, vor Inflation, vor radioaktivem Müll, vor dem „Klimakollaps“ und der Überfremdung. Es wird mit kindlicher Naivität an entscheidende Bereiche, wie eben die Energieversorgung herangegangen, das scheint sich durch alle Parteien zu ziehen. Warum? Weil die Parteien erkannt haben, dass die Mehrheit der Menschen – und damit der Wähler – eben nicht stoisch-rational an Sachthemen herangeht, sondern rein emotional. 

Das ist kein deutsches Phänomen, Italien beispielsweise besitzt aufgrund eines Volksentscheides kein einziges Kernkraftwerk. Über die Motivation der Italiener kann man nur Vermutungen anstellen, aber dass Gefühle und deren Bedienung durch geeignete Mittel der Beeinflussung die entscheidende Rolle gespielt haben, ist naheliegend.

Das Menschen eben emotional und nicht rational entscheiden, zumindest, wenn ihnen das Training und die Bildung fehlen, ist aus meiner persönlichen stoischen Sicht eine korrekte Einschätzung, die in der Realität eben zu irrationalen Entscheidungen führt. Möchte man rationalere Entscheidungen, zum Beispiel bei der Energiewende, aber eben nicht nur dort, muss man eben andere Ängste wecken. So wie es vielleicht der erste Teil dieses Essays bei dem ein oder anderen gemacht hat.

Angst vor dem komplettem Zusammenbruch unserer Energieversorgung oder eben vor der „Deindustrialisierung Deutschlands“ zum Beispiel. So lässt sich die Stimmung drehen. Was ist mit Fakten? Fakten schaden nichts, nutzen aber nur im Zusammenhang mit emotionaler Beeinflussung. Das klingt nicht stoisch, ist es aber. Ganz einfach, weil es der Realität entspricht. Und die Realität so weit wie möglich zu erkennen, ist für Stoikerinnen und Stoiker quasi schon eine Verpflichtung. Nicht immer eine einfache.

18.04.2023